Monday, September 04, 2006

Gingo Biloba

Dieses Baumes Blatt, der von Osten
Meinem Garten anvertraut,
Gibt geheimen Sinn zu kosten,
Wie`s den Wissenden erbaut.

Ist es ein lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt?
Sind es zwei, die sich erlesen,
Daß man sie als Eines kennt?

Solche Frage zu erwidern,
Fand ich wohl den rechten Sinn:
Fühlst du nicht an meinen Liedern,
Dass ich Eins und doppelt bin?

Johann Wolfgang von Goethe

Gingo Biloba

Eastern foilage of this tree,
just entrusted to my garden,
hidden secret may there be,
source of pleasure to its warden.

Is the leaf One living being,
seperated in itself?
Is the twofold shape I´m seeing
proof of One united self?

In reply to this your query
I have found the proper key:
Listen to my song and hear me,
I am One, but two in thee!

Johann Wolfgang von Goethe


Wer meinen Eintrag “Metamorphose der Pflanzen” gelesen hat, könnte jetzt befürchten, dass ich keine anderen Gedichte kenne als die Johann Wolfgang von Goethes. So ist es aber nicht.

Ich habe dieses berühmteste aller Gedichte über den ältesten Baum der Erdgeschichte aus mehreren Gründen für den Monat August ausgesucht:

Immer wieder war ich in diesem sehr heißen Sommer erfreut, wie unberührt von allem Sommerstress, den die Pflanzenwelt zu erleiden hatte, unser kleiner Gingkobaum seine interessanten Blätter entfaltete. Ein Grund für mich, auf diese Pflanze aufmerksam zu machen! Gingkobäume gab es schon, als noch Dinosaurier die Erde bevölkerten. Es ist eine der ältesten Pflanzenarten, die es auf der Welt gibt, und gleichzeitig eine ungeheuer widerstandsfähige Pflanzenart. Das kann nicht überraschen – wie hätte sie sonst überleben sollen? Überlebt hat sie übrigens in China („… der von Osten….“).

Einige Details: Gingkobäume werden als Alleebäume in den am meisten verschmutzten Städten der nördlichen Hemisphäre gepflanzt, weil sie es schaffen, selbst dort zu überleben und die Luft zu filtern. Die einzige Pflanze, die nach dem Abwurf der Atombombe über Hiroshima im August 1945 in einem Umkreis von einem Kilometer überlebte und neu ausschlug, war ein Baum dieser Art. Und natürlich hat der Gingkobaum auch große Heilkräfte. Wer sich für Einzelheiten über diesen Baum interessiert, kann sie an vielen Orten im Internet finden.

Schließlich wollte ich gerne auch einmal einen zweisprachigen Eintrag machen. Die Übersetzung stammt von meinem Vater. Er interessiert sich zutiefst für Sprachen und Kommunikation. Neben seiner Muttersprache (Deutsch) spricht er Englisch, Dänisch, Russisch, Französisch und etwas Italienisch – und verbringt er einen Teil seiner Zeit damit, Gedichte und Novellen aus dem Englischen ins Deutsche bzw. aus dem Deutschen ins Englische zu übersetzen. Diese Übersetzung nannte er „First Attempt of a Translation into English“.

Ganz kurz noch etwas zu dem Gedicht: typisch für Goethe ist – wieder einmal - die Verbindung von Natur (der Baum), Wissenschaft (es war ein ganz neue, gerade erst entdeckte Pflanzenart, als er das Gedicht schrieb) und Liebe („eins und doppelt“). Interessant ist auch der Wechsel von Betrachtung und Neutralität in den ersten zwei Strophen zu der unvermittelten Ansprache der geliebten Person in der letzten Strophe – ein totaler Stimmungsumschwung, wie wir alle ihn oft erleben.

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